Der Knöchel-Arm-Index (ABI) in der Wundversorgung:
Diagnostik, Sicherheit und Praxis

Stellen Sie sich vor, eine Ihrer Patient:innen leidet unter einem chronischen Ulcus am Unterschenkel. Die Kompression läuft seit Wochen, aber die Wunde heilt nicht.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Dann lassen Sie uns über den ABI-Wert sprechen!

Inhaltsverzeichnis

1. Was ist der ABI – und warum ist er so wichtig?

Der Knöchel-Arm-Index (ABI-Wert) – international Ankle Brachial Pressure Index (ABPI) genannt – ist ein zentraler Messwert zur Beurteilung der arteriellen Durchblutung in den Beinen. Er dient als objektive Grundlage, um Durchblutungsstörungen frühzeitig zu erkennen und die Sicherheit einer Kompressionstherapie individuell zu beurteilen.
Als einfaches, nicht-invasives Messverfahren ermöglicht der ABI die Identifizierung von Risiken, die Absicherung von Therapieentscheidungen und die nachhaltige Verbesserung der Versorgung Ihrer Patient:innen.
Kurz erklärt: Der ABI vergleicht den systolischen Blutdruck am Knöchel mit dem am Oberarm. Ein Wert zwischen 0,9 und 1,3 gilt als normal. Abweichungen nach unten können auf eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) hinweisen. Ab einem Wert von 0,5 besteht eine erhebliche Gefährdung der Extremität und eine Kompressionstherapie ist kontraindiziert.

2. Warum ist der ABI in der Wundversorgung so relevant?

Der ABI – also der Knöchel-Arm-Index – gehört in der modernen Wundversorgung längst zur Basisdiagnostik. Er lässt sich einfach und schnell messen und zeigt zuverlässig, wie gut die Durchblutung in den Beinen funktioniert – eine wichtige Grundlage, um Kompression sicher einzusetzen.
Bei Patient:innen mit einer relevanten arteriellen Durchblutungsstörung kann eine unkritisch angewandte Kompression zu einer Verschlechterung der Durchblutung, Nekrosen oder sogar Amputationen führen. Die Relevanz einer ABI-Messung beruht auf mehreren Aspekten:

  • Früherkennung von Durchblutungsstörungen: Der ABI ermöglicht die frühzeitige Diagnose einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), selbst wenn noch keine typischen Symptome wie Schmerzen oder Wunden vorhanden sind. Da die pAVK häufig asymptomatisch verläuft, bleibt sie ohne gezielte Diagnostik oft lange unentdeckt.

  • Indikationsstellung für Kompression: Ein ABI-Wert unter 0,8 ist ein klares Warnsignal: In solchen Fällen ist eine klassische Kompressionstherapie kontraindiziert oder muss zumindest modifiziert werden. Die Messung schützt Patient:innen somit vor einer potenziell gefährlichen Fehlbehandlung.

  • Therapiesicherheit: Bei chronischen Wunden, insbesondere Ulcera an den Beinen, ist die Unterscheidung zwischen arteriellen, venösen und gemischt arteriell-venösen Ursachen essenziell. Der ABI hilft, diese Differenzierung sicher und objektiv vorzunehmen. So kann eine Fehlindikation der Kompressionstherapie vermieden werden, die bei arterieller Durchblutungsstörung zu schweren Komplikationen führen kann.

  • Abschätzung des kardiovaskulären Gesamtrisikos: Ein pathologischer ABI-Wert deutet nicht nur auf lokale Durchblutungsprobleme hin, sondern auch auf ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und plötzlichen Herztod. Damit hat der ABI eine wichtige Funktion als „Frühwarnsystem” für systemische Gefäßerkrankungen.

  • Verlaufsbeurteilung: Der ABI eignet sich zur Überwachung des Krankheitsverlaufs und zur Beurteilung des Therapieerfolgs bei Patient:innen mit bekannter pAVK oder chronischen Wunden.

Merksatz:

Auch wenn (noch) keine Wunde vorliegt, ist der ABI ein Marker für kardiovaskuläre Risiken (z.B. Schlaganfall, Herzinfarkt). Ein zu niedriger ABI-Wert kann ein Hinweis auf eine generalisierte Arteriosklerose sein – auch dann, wenn äußerlich noch keine Beschwerden sichtbar sind.

3. ABI-Messung in der Praxis – Schritt für Schritt sicher anwenden

Die Theorie ist wichtig, aber wie läuft eine ABI-Messung im Versorgungsalltag konkret ab?

Im Folgenden finden Sie einen praxisbewährten Ablauf, der sich in vielen Einrichtungen etabliert hat. Wichtig: Für die Durchführung ist eine entsprechende Qualifikation erforderlich.

Die Theorie ist wichtig, aber wie läuft eine ABI-Messung im Versorgungsalltag konkret ab?

Im Folgenden finden Sie einen praxisbewährten Ablauf, der sich in vielen Einrichtungen etabliert hat. Wichtig: Für die Durchführung ist eine entsprechende Qualifikation erforderlich.

Das benötigen Sie:

  • Zwei Blutdruckmanschetten (für Arm und Knöchel)
  • Doppler-Ultraschallgerät oder automatisiertes ABI-Messgerät
  • Dokumentationsbogen oder digitales Wundtool

Vor der Messung:

  • In der Vorbereitung liegt die betroffene Person mindestens 10 Minuten ruhig in Rückenlage, um verfälschte Werte zu vermeiden.

Ablauf:

  • Idealerweise wird der systolische Blutdruck beidseits an den Oberarmen sowie an beiden Fußknöcheln gemessen, wobei die Messung an der Arteria dorsalis pedis und/oder der Arteria tibialis posterior empfohlen wird.
  • Für die Messung am Knöchel wird ein Doppler-Ultraschallgerät empfohlen. Alternativ können auch automatisierte ABI-Messsysteme verwendet werden, die insbesondere im Versorgungsalltag eine hilfreiche Unterstützung bieten.

Berechnung:

  • Höherer Knöcheldruck geteilt durch höheren Oberarmdruck ergibt den ABI pro Bein.

Dokumentation:

  • Die Werte aus der Messmethode und die Interpretation werden in der Wunddokumentation erfasst – dies ist auch haftungsrelevant.

Tipp: Automatisierte Geräte erleichtern die Messung enorm.

Eine Tabelle mit Stadien/Kategorien des ABI-Wertes finden Sie hier (interne Verlinkung zum Fachlexikoneintrag ABI-Wert).

Klinische Konsequenzen

  • Vor der Kompressionstherapie ist die Bestimmung des ABI unerlässlich, um arterielle Durchblutungsstörungen auszuschließen und die Sicherheit der Therapie zu gewährleisten.
  • Therapieanpassung: Liegt der ABI-Wert unter 0,8, sollte die Kompressionstherapie nur mit besonderer Vorsicht erfolgen – abhängig von der klinischen Situation und immer in Rücksprache mit der behandelnden Ärzt:innen. In solchen Fällen ist eine weiterführende gefäßmedizinische Abklärung angezeigt, bevor eine Therapie begonnen oder fortgesetzt wird.
  • Verlaufsbeurteilung: Der ABI eignet sich auch zur Verlaufskontrolle bei bekannten Gefäßerkrankungen und zur Abschätzung des Therapieerfolgs.

4. Ein Beispiel für eine Checkliste

Um die ABI-Messung zuverlässig und reproduzierbar durchzuführen, hat sich in der Praxis eine kurze Checkliste bewährt. Sie hilft Fachkräften dabei, alle wichtigen Schritte einzuhalten:

• Patient:in liegt mindestens 10 Minuten ruhig.
• Manschetten korrekt angelegt?
• Blutdruck an beiden Armen und Knöcheln gemessen?
• ABI berechnet und dokumentiert?
• Interpretation: Kompression ja/nein?
• Rücksprache bei auffälligen Werten.

Ein Patient liegt auf einer Behandlungsliege und es sind ihm Manschetten an den Knöcheln angelegt worden, um den ABI-Wert zu messen

5. Patientenorientierung und Selbstmanagement

Ein zentrales Ziel der modernen Wundversorgung ist die Förderung von Selbstmanagementkompetenzen. Eine verständliche Aufklärung über die Bedeutung des ABI sowie die Einbindung der Betroffenen in die Entscheidungsfindung stärken die Therapietreue und verbessern die Lebensqualität nachhaltig.

6. Fazit

Mehr Sicherheit, weniger Risiko – der Wert des ABI in der Wundversorgung

Der Knöchel-Arm-Index (ABI) ist weit mehr als eine technische Zahl: Er ist ein unverzichtbares Instrument, um die Durchblutungssituation der unteren Extremitäten objektiv zu beurteilen. Dadurch bildet er die Grundlage für eine sichere, individualisierte und leitliniengerechte Wundversorgung.

Mithilfe der standardisierten ABI-Messung lassen sich arterielle Durchblutungsstörungen frühzeitig erkennen, Risiken für Komplikationen zuverlässig einschätzen und Fehlindikationen – insbesondere bei der Kompressionstherapie – vermeiden. Gleichzeitig dient der ABI nicht nur als Marker für das kardiovaskuläre Gesamtrisiko, sondern er ermöglicht darüber hinaus eine ganzheitliche Versorgung, die über die reine Wundbehandlung hinausgeht.

In der modernen Wundversorgung ist der ABI daher nicht nur ein unverzichtbares Werkzeug der differenzierten Diagnostik, sondern auch ein verlässlicher Garant für die Patientensicherheit. Zugleich trägt er dazu bei, die Therapieergebnisse langfristig und nachhaltig zu verbessern. Darüber hinaus wird durch seine konsequente Anwendung in der Praxis sowohl die professionelle Versorgungsqualität gestärkt als auch sichergestellt, dass Patient:innen jederzeit bestmöglich behandelt werden.

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Quellen:

  • Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP). Expertenstandard: Pflege von Menschen mit chronischen Wunden (2. Aktualisierung). Osnabrück: Hochschule Osnabrück, 2024.
    https://www.dnqp.de/fileadmin/HSOS/Homepages/DNQP/Dateien/Expertenstandards/Chronische_Wunden/cWunden_2Akt_Auszug.pdf.
  • Internistische Gemeinschaftspraxis Flensburg. “ABI-Messung – Diagnostik der Durchblutung.”
    Zugriff am 9. Juli 2025. https://www.internisten-flensburg.de/kardiologie/abi-messung.
  • Gesundheits-Lexikon. “Knöchel-Arm-Index (ABI).”
    Zugriff am 9. Juli 2025. https://www.gesundheits-lexikon.com/Medizingeraetediagnostik/Herz-Kreislauf-Gefaesse/Knoechel-Arm-Index-ABI.
  • Lorenz, Roxane. “Ankle-Brachial-Pressure-Index – Warum er in der modernen Wundversorgung nicht fehlen darf.” Draco.de.
    Zugriff am 9. Juli 2025. https://www.draco.de/ankle-brachial-pressure-index/.
  • Initiative Chronische Wunden e.V. (ICW). Stellungnahme zur ABI-Messung bei Kompressionstherapie. Dortmund, 2024.
    https://www.icwunden.de/wp-content/uploads/2024/01/ABI_Stellungnahme_ICW.pdf.
  • Die Wundzentrale. “Kompressionstherapie auch bei pAVK?” Zugriff am 9. Juli 2025. https://www.diewundzentrale.com/detail/kompressionstherapie-auch-bei-pavk.